„So voll haben wir die Mehrzweckhalle in Feldmoching noch nie gesehen.“ Das war die einhellige Meinung der Presse, der Besucher und der veranstaltenden Vereine des Übergreifenden Bündnis München Nord zur Informationsveranstaltung „Zukunft des Münchener Nordens“ am 8. Januar 2018.
Im Vorfeld war kaum abzuschätzen, wie viele Bürger dem Aufruf des Aktionsgemeinschaft „Rettet den Münchener Norden!“ e.V., Bündnis Gartenstadt, Bürgerverein Lerchenau e.V., Eigenheimerverein Feldmoching e.V., Initiative Heimatboden München und der Interessengemeinschaft Fasanerie aktiv e.V. folgen würden. Sicherheitshalber wurden von den fleißigen Helfern morgens alle 850 Stühle, die in der Mehrzweckhalle vorhanden waren, aufgestellt. Eine Menge Arbeit…
Von der Resonanz waren am Ende aber alle überrascht. Schon bei Saalöffnung kamen die ersten Besucher an und schnell füllte sich der Saal und die letzten Sitzplätze waren bald besetzt. Und noch immer strömten weitere Bürger in den Saal, während vor der Halle der Verkehrskollaps drohte. Eng gedrängt standen die Besucher um alle Tische der anwesenden Bürgervereine und ‑initiativen, darunter neben den Veranstaltern auch die Bürgerinitiative Lebenswertes Daglfing e.V. (SEM München Nordost auf 600ha), Pro-Fürstenried e.V. (hier soll eine Wohngebiet mit derzeit 1.500 um weitere 600 nachverdichtet werden), Vertreter aus Trudering (hier soll ins Landschaftsschutzgebiet gebaut werden), der Aktionskreis contra Bahnlärm e.V. und viele weitere mehr. Auch die Besucher kamen von weither, nicht nur aus dem Münchener Norden, sondern aus dem gesamten Stadtgebiet und sogar eine „Abordnung“ aus Nürnberg kam.
Mit einiger Verspätung eröffnete dann Dirk Höpner, der Leiter der SEM-Gruppe bei Fasanerie aktiv, die Veranstaltung. Nach der Begrüßung informierte er die anwesenden Bürger über den aktuellen Stand der Planungen verschiedener Bauprojekte im Stadtbezirk und mit wie vielen Zuzüglern (ohne SEM ca. 20.000 neue Einwohner) über die nächsten Jahre zu rechnen ist. Diese werden in die neuen Baugebiete Ratold/Raheinstraße (900 Wohneinheiten auf 14,2ha), Hochmuttinger Straße (voraussichtlich mindestens 650 Wohneinheiten), Lerchenauer Feld/Bergwachtsiedlung (voraussichtlich etwa 2.500 Wohneinheiten) und Eggarten (geschätzt etwa 2.000 Wohneinheiten) ziehen, aber auch scheinbar kleine Nachverdichtungsprojekte summieren sich zu etwa 20.000 neuen Einwohnern. Erschreckend waren aber auch die Zahlen zur Einwohnerdichte. Da ist München schon heute mit 4.965 Einwohnern pro Quadratkilometer „führend“ was durch die zahlreichen Bauprojekte noch verstärkt wird. Als anschaulichen Vergleich ließ er sämtliche Einwohner der Städte Köln (Einwohnerzahl: 1.081.701, Einwohnerdichte: 2.670 Einw./km²) und Frankfurt (Einwohnerzahl: 729.624, Einwohnerdichte: 2.938 Einw./km²) nach Hamburg (Einwohnerzahl: 1.860.759, Einwohnerdichte: 2.464 Einw./km²) umsiedeln, und trotzdem läge die Einwohnerdichte „Neu-Hamburgs“ (neue Einwohnerdichte: 4.862 Einw./km²) dann noch immer unter der Münchens. Kaum zu glauben! München ist außerdem schon heute die Hauptstadt der Staus (in keiner anderen deutschen Stadt stehen die Autos so lange im Stau wie in der Landeshauptstadt) und bei der Feinstaubbelastung kann nur die Stadt Stuttgart im Rennen um den Spitzenplatz noch mithalten, die allerdings durch ihre Talkessellage sehr viel schlechtere geographische Bedingungen hat. Bei den Grünflächenanteilen liegt München hingegen weit zurück, nur 49,9%. Im Vergleich dazu liegt Hamburg bei 71,4%, die Stadt Essen bei 68%.
Um aber beispielsweise die Einwohnerdichte im Gebiet Ratold/Raheinstraße in Relation zu setzen, reichen Beispiele deutscher Großstädte bei weitem nicht mehr aus. New York (Einwohnerdichte: 10.815 Einw./km²) hat etwa gut die doppelte Einwohnerdichte wie München. Reicht das aber, um die Dichte dieses Baugebiets zu schlagen? Nein, sie liegt mit 16.725 Einwohnern pro Quadratkilometer noch einmal 1½ mal so hoch. Vorgaben wie die, dass sich die Höhe der Gebäude an die umliegende Bebauung anpassen mögen? Fehlanzeige. Grünflächen? Mehr Wohnraum gibt’s ohne Grünflächen. Parkplätze? Etwa 500 Parkplätze fehlen alleine in diesem Wohngebiet. Nur zur Erinnerung: in der Ausschreibung hieß es, der örtliche Charakter Feldmochings solle gewahrt bleiben…
Bei momentan etwa 61.000 Bürgern im Stadtbezirk sind zusätzliche 20.000 innerhalb weniger Jahre eine sportliche Steigerung. Wo sollen deren Kinder zur Schule oder in den Kindergarten gehen? Schon heute werden Feldmochinger Gymnasiasten in den nächstgelegenen Gymnasien abgelehnt und sie müssen nach Unterschleißheim ausweichen. Vielleicht gibt’s ja eine neue Schule im Lerchenauer Feld. Vielleicht. Irgendwann.
Bei den Ausführungen Dirk Höpners bleiben vielen Bürgern der Mund offen stehen. Das alles und dann noch die SEM obendrauf? Dazu die Zerstörung von Existenzen, die „Vertreibung“ der Landwirtschaft, die seit Generationen in Feldmoching betrieben wird? Grünflächen und Naherholungsbiete werden zu Betonwüsten?
Dirk Höpner zeigte aber auch andere Beispiele aus dem Münchener Stadtgebiet auf und ging dabei auch die Bauprojekte in Trudering und Fürstenried ein. Außerdem zeigte er, wie sich in Daglfing-Johanneskirchen die SEM München Nordost von ursprünglich geplanten 11.000 neuen Einwohnern und 2.000 Arbeitsplätzen innerhalb von nur 1½ Jahren auf bis 33.000 Einwohner und 13.000 Arbeitsplätze vergrößerte. Bei gleichbleibender Fläche wohlgemerkt. Dann ging er auf das geplante Gebiet der SEM München Nord ein, das das bei weitem größte Neubaugebiet Europas werden würde. Er beschrieb den Ablauf einer SEM und welche Auswirkungen sie auf den Münchener Norden hätte, skizzierte Beispiele anderer Neubauten in München und stellte in Frage, dass es hierfür überhaupt einen Wählerauftrag gibt.
Er schloss seinen Vortrag mit den Forderungen des Übergreifenden Bündnis München Nord:
- Bei (bisher) geplanten Bauvorhaben Orientierung an der Bestandsbebauung (Bauhöhe, Baumasse und Charakter der Bebauung), d.h. deutliche Reduktion der Wohnungszahl).
- Verbindliche Einhaltung von Natur- und Umweltschutzzielen, insbesondere Erhalt des Baumbestandes.
- Festschreibung der Grün- und Freiflächenanteile bei Neuvorhaben, verbindliche Einhaltung der alten Anteilsgrößen und Rücknahme der vor kurzem halbierten Werte.
- Verkehrs- und Infrastrukturplanung vor Wohnungsbau.
- Keine SEM.
- Transparente Beteiligung, Informationsrechte und Mitbestimmung (!) für die von Bauplanungen betroffenen Bürger.
Weiter ging es mit Christian Hierneis, dem Vorsitzenden des BUND Naturschutz e.V. in München, der die Auswirkungen der Bebauung auf die Natur, aber auch das Stadtklima beschrieb. Besonders bitter fand er es, dass viele der Kinder, die heute in Großstädten aufwachsen, keinen Wald mehr kennen. Dabei ginge es auch anders: Deutschland hat keine Wohnungsknappheit. Zwei Millionen Wohnungen stehen bundesweit leer, 11.000ha Gewerbeflächen. Und das nicht nur in strukturschwachen Gebieten, auch München hat leerstehende Häuser und Wohnungen. Es muss attraktiver gemacht werden, dass diese Wohnungen in vollen Städten vermietet werden und die Infrastruktur in strukturschwachen Regionen ausgebaut werden, damit die Menschen nciht weiter von dort wegziehen oder vielleicht sogar zurückkehren in ihre Heimat. Stattdessen lockt die Stadt München Firmen in die Stadtmitte, die seither sehr gut außerhalb angesiedelt waren und bewirbt Wohnbauprojekte auf Immobilienmessen weltweit. Dies lockt Investoren an, die sicher nicht an sinkenden Immobilienpreisen interessiert sind. Für viele dieser Investoren lohnt sich schon der Wertzuwachs einer Immobilie, selbst wenn diese leersteht. Noch haben wir nicht die Verhältnisse wie in Städten wie London, aber wir sidn auch dem besten Weg dorthin. Christian Hierneis sprach sich dann auch für kommunalen Wohnungsbau aus. Dies sei die einzige Möglichkeit wirklich bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Danach trat Dr. Detlev Sträter vom Münchener Forum e.V. ans Mikrofon. Er bezeichnete den Bevölkerungszuzug als nicht gottgegeben, sondern vielmehr von der Stadt München gesteuert. Dabei geht die Überauslastung in München mit einer Unterauslastung in ländlichen Gebieten Bayerns einher. Er verwies auf die Bayerische Verfassung, die allen, in der Stadt und auf dem Land gleiche Lebensbedingungen zusichert. Mit steigender Bevölkerungsdichte fällt die Lebensqualität.
Nach den Vorträgen rief Moderator Peter Kveton Mechthilde Wittmann, Abgeordnete des Bayerischen Landtags (CSU), Heide Rieke, Stadträtin und Mitglied des Planungsausschusses (SPD) und Susanne Ritter vom Planungsreferat der Landeshauptstadt München auf die Bühne. Alle drei hatten Gelegenheit, auch ihre Standpunkte darzulegen. Das Podium wurde von Christian Hierneis und Dr. Detlev Sträter komplettiert.
Nun durften endlich die Bürger an die aufgestellten Mikrofone. Und es ging gleich heiß her. So fragte Martin Zech als Vertreter der Initiative Heimatboden, warum die Stadt München das von der Initiative in Auftrag gegebene Rechtsgutachten ignoriere? Selbst diese Frage wurde weitgehend ignoriert. Den Wortmeldungen der Bürger war ihr Standpunkt zu den Plänen der Stadt deutlich zu entnehmen. Viele Bürger waren aber mit den Antworten von Politik und Verwaltung äußerst unzufrieden. Äußerungen wie „wir wollen ja nicht die Seen bebauen“ sorgten für eher Lacher und solche wie „wir können jetzt ja gar keine Enteignungen durchführen“ schürten weiteres Misstrauen, anstatt Vertrauen in die Verwaltung und ihre Absichten aufzubauen. Insgesamt waren die Vertreter aus Politik und Verwaltung aber allesamt oberflächlich und wenig greifbar. Bei konkreten Zusagen war Fehlanzeige.
Bis etwa 22 Uhr durften die Bürger sich Wort melden, bevor die Veranstaltung geschlossen wurde. Peter Kveton und Dirk Höpner bedankten sich bei den Teilnehmern auf dem Podium und bei den Bürgern, die bis jetzt durchgehalten hatten. Viele versammelten danach noch zum gemeinsamen Foto (Fotograf: Achim Schmidt (tz/Münchner Merkur)), um ihrem Unmut auch so noch einmal Ausdruck zu verleihen.
An den darauffolgenden Tagen war die Presse voll von Berichten über die Veranstaltung. Eine Übersicht der Berichte finden Sie zusammengefasst in einem weiteren Artikel auf dieser Webseite. Auch von zahlreichen Mitgliedern und Unterstützern erhielten wir Feedback zur Veranstaltung. Neben positiven Äußerungen waren darunter auch ein paar negative, wobei diese sich auf die Durchführung der Veranstaltung bezogen und nicht etwa als Befürwortung der SEM zu verstehen waren. Trotzdem wollen wir an dieser Stelle auf dieses Feedback eingehen:
1. Die Vorträge waren insgesamt zu lang und die Bürger kamen nicht ausreichend zu Wort.
Das war auch der Eindruck der Veranstalter selbst. Die Vorträge waren für eine Länge von 45–60 Minuten vorgesehen, doch zogen sie sich länger hin als erwartet. Die Podiumsteilnehmer sollten eine kurze Stellungnahme abgeben, nutzten das Mikrofon aber auch, um in die Details zu gehen. Dadurch kamen die ersten Bürger erst nach etwa 1½ zu Wort, zu diesem Zeitpunkt hatten die ersten schon die Halle verlassen.
2. Die Halle war zu voll und viele haben keinen SItzplatz mehr bekommen.
Erstens haben wir nicht mit einem solchen Andrang gerechnet und zweitens waren gar nicht mehr Stühle in der Halle vorhanden, die hätten aufgestellt werden können. Das bestätigt die Meinung aller Anwesenden, dass die Halle noch nie so voll war, wie an diesem Abend.
3. War das eine CSU-Wahlkampf-Veranstaltung?
Nein, das war es nicht. Aber offensichtlich hat die CSU, insbesondere in Person von Mecthilde Wittmann (MdL) auf dem Podium den Nerv der Bürger am ehesten getroffen.
4. Es wurde zu wenig über die Zukunft des Münchener Nordens gesprochen.
Den Veranstaltern lag daran, aufzuzeigen, wie sich die Zukunft des Münchener Nordens derzeit darstellt. Welche Bauvorhaben werden in den nächsten Jahren umgesetzt und welcher Zuzug ist zu erwarten? Wie sind die Auswirkungen auf Menschen, Umwelt und Infrastruktur? Ein wenig sollten auch Ideen aufgezeigt werden, wie die Zukunft alternativ gestaltet werden kann. Dieser Punkt stand aber nicht im Vordergrund, trotzdem kam er etwas zu kurz.
Es gibt also noch sehr viel zu tun für die Aktiven des Übergreifenden Bündnis München Nord. Es soll nicht die letzte Veranstaltung gewesen sein und die Arbeit für die Zukunft des Münchener Nordens wird intensiv weitergehen. Die Veranstaltung hat aber auch gezeigt, dass der Münchener Norden mit diesem Problem nicht alleine dasteht. Die Verärgerung der Bürger über die Planung und Entwicklung der Landeshauptstadt München kommt aus allen Teilen Münchens und darüber hinaus. Schon jetzt liegen Anfragen aus anderen Stadtteilen vor, von Bürgervereinen und ‑initiativen, die ähnliche Veranstaltungen planen und uns um Unterstützung gebeten haben.
Unterstützung erhoffen wir uns auch als Verein, denn die Aufgabe sorgt für jede Menge Arbeit. Je mehr Schultern diese Arbeit tragen, umso besser für die Einzelnen und die Gemeinschaft. Im Anschluss an die Veranstaltung traten viele weitere Bürger dem Verein bei. Wir wollen, dass unser Münchener Norden auch in Zukunft so lebenswert bleibt, wie er heute ist und dass wir an der einen oder anderen Stelle auch noch Dinge verbessern können. Dafür tritt der Verein ein.
Fotos:
- Gruppenbild: Achim Schmidt (tz/Münchner Merkur)
- Pappelallee: BR
- Ausstellung, Dirk Höpner, Christian Hierneis, Mechthilde Wittmann/Dr. Detlev Sträter: Karola Kennerknecht
- Saal: Werner Paulus